Der Job macht längst keinen Spaß mehr? Die Partnerschaft ödet einen nur noch an. Und der Sex ist so aufregend wie Marschmusik? Alles langweilig, dröge und nervig. Muss das denn bitte so bleiben? Alles mal ganz anders machen? Ach nö, ist ja doch ganz gemütlich so. Warum denn etwas ändern?
Entscheidungen zu treffen, ist eine Herausforderung. Gerade wenn es um große Entscheidungen geht, die ganz schnell das Leben in Aufruhr bringen können. Da knicken wir doch lieber schnell ein, nachdem wir im Geiste schon zig Pro- und Contra-Listen angefertigt haben. Wenn wir rational schon alles durchgespielt haben, gibt es noch die Möglichkeit der Tetralemma-Aufstellung:
Die Tetralemma-Aufstellung ist eine der bekanntesten Entwicklungen von der Psychologin und Psychotherapeutin Insa Sparrer und dem Wissenschaftstheoretiker Matthias Varga von Kibéd – die auch als Gründer der Systemischen Strukturaufstellung (SySt®) gelten. Die Tetralemma-Aufstellung kann zum Einsatz kommen bei
- Entscheidungsfindung
- Vereinigung von Gegensätzen
- Klärung von Standpunkten
- Überprüfung von Werten
- Aufhebung von Blockaden
- Sichtbarmachen von Übersehenem
Herkunft
Als Inspiration diente Sparrer und Varga von Kibéd eine Struktur aus der traditionellen indischen Logik, die in Sanskrit „catuskoti“ heißt, was so viel wie vier Ecken bedeutet. „Sie wurde im Rechtswesen verwendet zur Kategorisierung der möglichen Standpunkte, die ein Richter zu einem Streitfall zwischen zwei Parteien einnehmen kann. Er kann der einen Partei recht geben oder anderen Partei oder beiden (jeder hat recht) oder keiner vor beiden“.[1] Damit wird ein Dilemma vielparteilich von allen Seiten beleuchtet.
Diesen vier Positionen aus dem Sanskrit widersprach der Gelehrte Nagarjuna, der Begründer des Madhyamika-Buddhismus im zweiten Jahrhundert nach Christus. Er erweiterte das Schema um eine vierfache Negation, die alle Standpunkte wieder aufhob, und verhinderte damit jede Erstarrung im schematischen Denken: Weder die eine Partei hat recht, noch die andere Partei, noch beide Parteien, noch keine von beiden. Der bezogene Standpunkt wird wieder aufgehoben, also: All dies nicht und selbst das nicht.
Die Fünf Positionen [2]
DAS EINE
Die Position, die uns im Augenblick näher liegt. Das kann etwas Vertrautes oder Sicheres sein. Es ist der ursprüngliche Ausgangspunkt.
DAS ANDERE
Der zweite Teil unseres Dilemmas, ist das Gegenüber in einer vermuteten Endweder-Oder-Situation. Häufig hat die Beschäftigung mit dem Thema hier für uns ein Ende, weil klar ist, dass wir uns zwischen diesen beiden Themen entscheiden müssen. Hier beginnt das Kennenlernen von einem eventuell möglichen: BEIDES.
BEIDES
Ist eine komplexe Figur im Tetralemma, weil dieser Ort so viele Facetten und sehr unterschiedliche Bedeutungen haben kann. Es geht hierbei um neue Sichtweisen und Handlungsmöglichkeiten. Hier findet sozusagen eine erste Metaposition statt. Damit sieht der Betrachter einen neuen „Frame“, sodass ein „Reframing“ möglich ist. Das spricht auch Varga von Kibéd unmittelbar an: „ […] dass die Handlungsweise, die Sie jetzt als Fehler ansehen, zu einer Fülle von wichtigen Einsichten, Lernprozessen und Erfahrungen durch Konfrontation mit den Schwierigkeiten, die aus dem Fehler entstanden, geführt hat […]. (a.a.O., S.78).“[3] Dies ist ein wichtiger Schritt zur Vereinbarkeit der Positionen. Während des Prozesses wird klar, es gibt eine Verbindung zwischen den vermuteten Gegensätzen, also ein BEIDES.
KEINES VON BEIDEN
In dieser Position geht um eine Erweiterung oder einen Wechsel des Themas. Dies ähnelt dann dem ausgeblendeten Thema als etwas bisher nicht Berücksichtigtem. Während wir in der dritten Position eher noch ein teilnehmender Beobachter waren, der inhaltlich Gemeinsamkeiten und Sinn sucht, können wir in der vierten Position unseren alten Konflikt mit hinreichender Distanz ganz von außen betrachten. „Wir sind nicht mehr verwickelt. Wir betrachten diese Position daher auch als externe Kontexterweiterung.“[4] Es geht nicht mehr nur um Vereinbarkeit, sondern um den Kontext, in dem das Dilemma, der Gegensatz von Richtig und Falsch, entstanden ist. Das gibt dem Ganzen eine neue Dimension und unter Umständen einen neuen Sinn. Wo in der dritten Position noch Interaktions- oder Interpretationsmuster aus dem alten Dilemma übernommen werden, können sie hier aufgelöst werden.
DAS FÜNFTE ELEMENT
Dieses fünfte ist ein freies Element, so etwas wie ein JOKER. Im Tetralemma heißt es dann: „Weder das eine, noch das andere, noch Beides, noch Keines von Beiden und all dies nicht und selbst das nicht.“ Mit „all dies nicht“ sind die ersten vier Positionen gemeint und mit „selbst das nicht“ hebt sich die fünfte Position selbst auf und erinnert uns daran, dass es niemals einen letzten, gültigen Standpunkt gibt. Wenn wir das akzeptieren, können wir ganz entspannt querdenken!
Das Fünfte Element dient der Unterbrechung und hat nur eine Aufgabe: Impulsen folgen, Kreativität leben, Humor, Mitgefühl, Weisheit und viele Aspekte mehr mit einbringen.
Das Tetralemma als Entwicklungsspirale
Durch die Lebendigkeit, die durch das fünfte Element entsteht, kommt auch Bewegung in die Positionen und führt bei mehreren Durchläufen häufig zu einem neuen DAS EINE, zu einem neuen DAS ANDERE, BEIDES oder KEINES VON BEIDEN. Die einzelnen Positionen entwickeln sich mit, verändern sich und kommen zu ganz neuen Qualitäten.
Im Tetralemma geht es nicht darum, dass alle Positionen durchlaufen werden müssen. Es geht immer um den nächsten passenden Schritt. Der Prozess ist relevant, die Veränderung zählt und nicht die Quantität der durchlaufenen Stationen.
[1] Sparrer, I./Kibéd V. (2008, 6. Aufl.): Ganz im Gegenteil. Tetralemmaarbeit und andere Grundformen Systemischer Strukturaufstellen – für Querdenken und solche, die es werden wollen. Carl-Auer
[2] Daimler, R. (2008): Basics der Systemischen Strukturaufstellung, S. 110-128. Kösel
[3] Ebenda.
[4] Sparrer/Kibed (S.85 ff).